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Wenn im Prater die Oranjes blühen

Das Hockeystadion als Treffpunkt von Elitespielern aus den Niederlanden: Mit einer Brise holländischer Genialität möchte der HC Wien die Vormachtstellung im Landhockey wieder zurück gewinnen

Oranje Punt. So lautet der Slogan, den Roel Arnold und Gijs Hessels auf ihrem Trainingsanzug tragen. Als würde ihre physische Präsenz in der Hauptallee 123a nicht Botschaft genug sein, bringt der orange Button mit dem weißen Schriftzug den Grund der Anwesenheit der beiden ehemaligen holländischen Klassespieler auf den Punkt. Orangener Punkt. Gemeint ist Treffpunkt. Das Hockeystadion, die Heimstätte des HC Wien im Herzen vom Prater, soll mehr und mehr zum Treffpunkt ehemaliger holländischer Weltklassespieler werden.

Im Langenscheidt wird Punt mit Spitze übersetzt. Spitze. Treffpunkt. Diese Kombination hat es in sich. Damit ist alles gesagt, was der HC Wien vorhat.
Im Hinblick auf das 100-Jährige Vereinsjubiläum 2022 will der 15fache österreichische Staatsmeister erneut die dominierende Feldhockeymannschaft werden. „In zwei Jahren wollen wir österreichischer Meister sein. Das ist unser erklärtes Ziel“, sagt Alexander Kaiser. Kaiser, 48, ist seit 2013 Präsident des Vereins. In den 90er Jahren war der ehemalige Vollblutstürmer Teil jener legendären Mannschaft, die in Österreich den Meistertitel der Herren fünf Mal in Folge, von 1989 bis 1993, gewonnen hat.

Roel Arnold und Gijs HesselsDen letzten Meistertitel holte der Hockey Club Wien 2015.
Damals gewann der 1922 gegründete Traditionsverein nach 22 Jahren erstmals wieder den Herrentitel in Österreichs höchster Spielklasse. Seither aber dominieren SV Arminen und Post SV. Tipps, um an diese erfolgreiche Ära anzuschließen, hat sich Präsident Kaiser bewusst aus den Niederlanden geholt.
Ähnlich wie im Fußball unter Johan Cruyff haben die Holländer in den letzten Jahrzehnten auch im Landhockey eine Spielphilosophie und ein System kreiert und etabliert, das auf Effektivität, Dominanz und Ballbesitz fußt. Mit HockeyTotal haben die Niederländer international für Furore gesorgt.

Als Mentor für dieses ambitionierte Projekt konnte der HC Wien, der mit über 130 Nachwuchstiteln zu den erfolgreichsten Hockeyvereinen Österreichs zählt, Jeroen Hertzberger gewinnen. Das ist in etwa so als würde Ronaldo der Wiener Austria ein paar kostenlose Tipps gebenHertzberger ist All-Time Top-Torschütze in der Euro Hockey League, der Champions League der Landhockeyspieler. Der 34-Jährige Holländer hat 248 Teamspiele für die Niederlande absolviert und dabei 113 Mal getroffen.

Die Niederländer sind - gemeinsam mit den Australiern,  das Beste, was es im Landhockey gibt. Das Non-Plus-Ultra. Die Männer sind zweimaliger Olympiasieger, sowie dreimal Welt- und fünfmaliger Europameister und stehen derzeit auf Platz drei der FIH-Weltrangliste. 
Die Frauen sind dreimalige Olympiasieger, 8-malige Welt- und 10-malige Europameisterinnen geworden und führen derzeit die FIH-Weltrangliste an.
Landhockey hat in Holland große Tradition und genießt einen sehr hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Nach Fußball ist Landhockey der Topsport. In dem 16,8 Millionen Einwohner-Land gibt es rund 350.000 aktive Mitglieder, davon mehr als die Hälfte Frauen. Das entspricht mehr als zwei Prozent der Gesamtbevölkerung. Landesweit gibt es 450 Kunstrasenplätze. Nur zum Vergleich: in Österreich gibt es nicht einmal zehn.Roel Arnold, Alexander Kaiser, Gijs Hessels

Schon in den 80er Jahren wurde Hockey in Holland clever vermarktet. Spieler, vor allem die Frauen, werden im TV wie Rock-Stars gefeiert. Die Stadien sind voll. Daraus ergeben sich gute Verdienstmöglichkeiten für Spieler - im Gegensatz zu anderen erfolgreichen Hockey-Nationen wie beispielsweise Deutschland. Dazu kommt, dass in den Niederlanden fast jedes Kind schon im Grundschulalter mit Landhockey beginnt. Das ist in Österreich undenkbar, abgesehen davon, dass es unter den rund 2000 Aktiven keinen einzigen Profi gibt, der von diesem Sport leben könnte.

„Wenn man sich als Klub verändern möchte, muss man als Erstes die Kultur ändern.“ Das ist eine Einstellungssache und die Kernaussage, die Jeroen Hertzberger den Wienern auf ihre Mission mitgibt. „Wenn man aufsteht und schlafen geht, muss Hockey immer der erste bzw. der letzte Gedanken sein. Wenn ihr das macht, ist alles möglich“, sagt der weltbeste Torschütze in einer Videobotschaft. 

Arnold und Hessels bringen diese Haltung und Einstellung mit. Damit das Mögliche auch in der Praxis umgesetzt wird, vertrauen die Leopoldstädter auf die Dienste von zwei Schülern von Hertzberger. Roel Arnold und Gijs Hessels sind zwei erfahrene Trainer an der Outlinie. Arnold trainiert die Frauen, nachdem der 53-Jährige letzte Saison noch die Herren unter seinen Fittichen hatte. „In Holland ist Frauenhockey noch populärer als das ohnehin beliebte Herrenhockey. Auch Damenhockey wollen wir beim HC Wien noch mehr in den Mittelpunkt stellen und fördern, weil wir hier großes Potential sehen“, sagt Arnold.
Hessels kümmert sich seit heuer um die Männer. Beide identifizieren sich mit Hertzberger Art, Hockey zu denken und zu spielen. Sie können am Platz umsetzen, was Hertzberger fordert.

„Wir wollen einfaches Hockey spielen lassen. Das einfache Hockey ist das schönste“, weiß Roel Arnold und fügt hinzu. „Aber einfaches Hockey ist zugleich auch am schwersten.“ Arnold, seit mehr als dreißig Jahren dem Hockey verfallen, ist so etwas wie die holländische Vorhut.Roel Arnold
Der Mann mit Nickelbrille und hoher Stirn, der in Holland, Deutschland und Belgien gearbeitet hat, kam vor vier Jahren nach Wien. Sein erstes Jahr verbrachte er beim Stadtrivalen AHTC. Das Jahr darauf wechselte er und fand beim HC Wien sein neues Zuhause. „Der Klub ist wie ein niederländischer Familienklub. Ich habe bei Hockeer angefangen und beim HC Wien die gleiche Atmosphäre vorgefunden. Das ist eine sehr angenehme und herzliche Grundstimmung. Da war ich im Nu zu Hause angekommen.“

Das spricht sich in Hockeykreisen schnell herum. Auch in den Niederlanden. Auf www.hockey.nl, dem größten Hockeyportal, hat Arnold von den Vorzügen Wiens geschwärmt. Insbesondere hat er die Lebensqualität in der Zwei-Millionenstadt und die Offenheit angesprochen. Nun  folgen mehr und mehr Hockeyspieler Arnolds Beispiel. Allen voran Gijs Hessels. Der Mittdreißiger war bei De Warande, Victoria und Craeyenhout tätig, bevor er 2020 beim HC Wien andockte. Hessels Ziel ist, den Verein sukzessive umzukrempeln und gemeinsam mit Arnold auf Vordermann zu bringen.
Erster erfolgreicher Arbeitsnachweis: Die Unter 10 weiblich wurde heuer nach Jahren mit den beiden holländischen Legionärinnen Elin und Meike Duijmelings österreichischer Meister.  „Wir sind nicht weit von der österreichischen Spitze entfernt, aber um kontinuierlich im Final Four vertreten zu sein und um den Meistertitel zu kämpfen, müssen wir Druck, Tempo und Intensität im Training steigern, um mehr Optionen und Lösungen im Match zu haben.“

Leichter gesagt als getan. Das wissen Hessels und Arnold nur zu genau. „Wir raufen um jedes Kind“, sagt Präsident Kaiser. In Zeiten von Corona mehr denn je. Zudem muss sich der HC Wien den Kunstrasenplatz im Hockeystadion mit Ligakonkurrent AHTC teilen.
Das Thema Infrastruktur ist im österreichischen Hockeysport akut. Im Gegensatz zur holländischen Realität ist und bleibt Landhockey in Österreich eine Randsportart.
Daran haben leider auch der Weltmeistertitel und internationale Erfolge wenig geändert. 2018 gewann Rot-Weiß-Rot den Hallentitel im Finale gegen Deutschland. Damit war Österreich erstmals Weltmeister und Landhockey de facto die erfolgreichste Ballsport Österreichs - wenngleich die Herren am Feld in der Weltrangliste nur um Platz 20 rangieren. In der Wahrnehmung und Wertschätzung hat sich nur rudimentär etwas verändert.
König Fußball bekommt genauso viel Fördergelder aus dem Sporttopf wie 41 andere österreichische Sportverbände zusammen.

Gijs Hessels„In manchen Altersklassen haben wir in Österreich zu wenig Kinder. Bei dieser Leistungsdichte kann ein Spieler oft schon den Unterschied ausmachen“, weiß Hessels. Deswegen bauen Arnold und er auf ein ganzheitliches Spielsystem und Teamgeist.
Arnold hat sogar ein Buch über den Erfolgsfaktor Teamgeist geschrieben. „In Holland etwa passiert alles in der Gruppe. Mannschaften radeln gemeinsam zum Training, 18 Mädels hin und zurück“, sagt Arnold. Im Sport haben gelebte Werte eine besondere Bedeutung, insbesondere im Nachwuchs. So habe die Demokratisierung Einzug ins Hockey gefunden.

 „Wir haben mit Arnold und Hessel zwei herausragende Trainer, deren Erfahrung und Innovationskraft uns helfen werden, den Verein neu aufzustellen und junge Menschen für den Hockeysport zu überzeugen“, erklärt Kaiser.
Darüber hinaus wolle er für die Mission Meistertitel ehemalige HC Wien Legionäre nach Wien zurückholen. Franz Lindengrün und Leon Thörnblom, beide aus der Meistermannschaft 2015, haben unmittelbar nach dem Meistertitel den Sprung ins Ausland geschafft. Die beiden Nationalspieler stehen heute im Dienste des deutschen Bundesligaklubs Polo Hamburg. Auch Bartosz Schmidt, Sohn von Österreichs Nationalteamtrainer, fand über den HC Wien den Weg ins Ausland. 

„Wenn du gut bist, musst du weg, egal, ob nach Deutschland, Holland oder Belgien. Du musst ins Ausland, um den nächsten Schritt zu machen“, sind Arnold und Hessels überzeugt. Das sei alternativlos. Aber auch ein Beleg für die gute Nachwuchsarbeit beim HC Wien. Mit Niko Wellan, 19, und Benjamin Kölbl, 18, stehen die nächsten Ausnahmetalente in den Startlöchern. „Der Nachwuchs ist unser größter Asset. Ich bin überzeugt davon, dass wir auf dem richtigen Weg sind“, erklärt Kaiser. Und Hessels nickt und schmunzelt. „Wenn du das jetzt noch auf Holländisch sagen kannst, kommt es wirklich gut.“